Ein Social Business Case
Unternehmertum und soziales Engagement
Wer Unternehmen gründet, analysiert meist vorher den Markt, schreibt einen Businessplan und plant alles, was irgendwie planbar ist. Bei Goldeimer aus Hamburg war ziemlich genau das Gegenteil der Fall. Der Gründer Malte Schremmer bezeichnet die Goldeimer gGmbH als «reines Zufallsprodukt». Die Idee zur Gründung kam ihm, während er sich auf einer Reise mit Durchfall durch Burkina Faso schleppte und ihm die Bedeutung gewohnter hygienischer Standards im Sanitärbereich zum ersten Mal bewusst wurde. 4,5 Milliarden Menschen auf der Welt haben keinen Zugang zu sauberen WCs.
Das gemeinnützige Unternehmen Goldeimer stellt «das erste soziale Klopapier Deutschlands» her und in den Sommermonaten mobile Kompost-WCs auf Musikfestivals auf. Sämtliche erwirtschafteten Überschüsse des festangestellten 6-köpfigen Teams kommen Organisationen wie Viva con Agua und der Welthungerhilfe zugute: für Umwelt- und WASH-Projekte (Wasser, Sanitär, Hygiene). Zudem sammelt Goldeimer Spenden ein für denselben Zweck. Malte: «Man kann bei uns auf Kompostklos gehen, soziales Klopapier kaufen oder direkt für bessere sanitäre Versorgung weltweit spenden.»
Schwierige Startbedingungen
Der Anfang war alles andere als einfach: Der Markt für Klopapier ist seit Jahren gesättigt, die meisten Menschen schauen beim Kauf von Klopapier nur auf den Preis (und halten vielleicht nach einem Blauen Engel Ausschau). Malte bezeichnet Klopapier als regelrechtes «Scheißprodukt: Es ist groß, leicht und billig.» Im schwer skalierbaren Geschäft mit mobilen Komposttoiletten für Musikfestivals sah der Gründer dennoch eine Chance: «Kaum jemand wollte sich damit beschäftigen.»
Es gab am Anfang der Unternehmensgeschichte von Goldeimer keine wirkliche Business-Strategie. Dafür umso stärker dafür den Willen des Teams und seiner vielen Freiwilligen, etwas vor Ort und auf der ganzen Welt zum Besseren zu verändern. Auf Musikfestivals in ganz Deutschland begann Goldeimer mit stillen Örtchen, die auf Chemie verzichten und nach dem Kompostprinzip funktionieren. Des Weiteren verbindet Goldeimer die WC-Verleih-Dienstleistung mit Aufklärungsarbeit über die mangelhaften sanitären Bedingungen für den größten Teil der Menschheit – mit dem Ziel, Spenden zu sammeln. Zahlreiche Freiwillige engagieren sich auf den Festivals und unterstützen so die Ziele von Goldeimer.
Dienstleistung plus Produkt
Als nach drei Monaten die erste Festivalsaison vorbei war, dachte das Goldeimer-Team über weitere unternehmerische Möglichkeiten und Chancen für soziales Engagement nach. Als Anbieter von Kompost-WCs lag es nahe, ein eigenes Klopapier herzustellen. Was in der Praxis heißt: herstellen zu lassen und eine Marke zu kreieren. Sämtliche Klopapiere in Deutschland werden von denselben vier großen Herstellerfirmen produziert und unter den Marken der jeweiligen Auftraggebenden verkauft. Goldeimer entschied sich für die Herstellung des Recycling-Klopapiers bei Wepa. Da es energie- und wasserschonend hergestellt wird, trägt es den Blauen Engel. Wepa hat zudem eine Cradle to Cradle Roadmap und will langfristig die gesamte Herstellung auf Cradle to Cradle umstellen: Circular Economy mit geschlossenen Nährstoffkreisläufen.
Faltin’scher Komponentenansatz bei Goldeimer
Die Zusammenarbeit mit Wepa ist ein Beispiel für den von Prof. Günter Faltin beschriebenen Komponentenansatz: Entscheidend ist nicht, alles selbst zu produzieren, sondern ein kreatives Geschäftskonzept zu erdenken und die Umsetzung mit externen Partnern zu orchestrieren.
Laut Faltin geht es bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen auch nicht zwangsläufig darum, etwas vollkommen Neues zu erschaffen, sondern einfach darum, Dinge besser zu machen. Wie das Recycling-Klopapier von Goldeimer: Es ist nicht nur ein dreilagiges Produkt für den täglichen Gebrauch, sondern vielschichtig auch in umweltpolitischer und gesellschaftlicher Hinsicht: mit Engagement für Kreislaufwirtschaft sowie für bessere sanitäre Versorgung weltweit.
Die Kommunikation des Klopapiers
«Klopapier ist im Grunde ein langweiliges Produkt», sagt Malte. «In den Regalen für Toiletten der Drogerien und Supermärkte hat sich in den letzten Jahren nichts getan. Wir fanden, es war Zeit für was Neues.» Dieses Neue spielt sich vor allem auf den Ebenen der Kommunikation ab: Aufklärungsarbeit für die sanitärtechnisch Privilegierten und eine Lockerheit beim Thema Fäkalien. «Goldeimer ist eigentlich ein Kommunikationsunternehmen. Darin sind wir viel besser als bei Produktion, Dienstleistung und Logistik», erzählt Malte.
So betrachtet ist Goldeimer eine Kommunikations- und Finanzierungskampagne für bessere sanitäre Versorgung weltweit und für geschlossene Nährstoffkreisläufe. Alles finanziert durch die Vermietung von Kompost-WCs für Musikfestivals, den Verkauf von Klopapier unter eigener Marke sowie durch den Aufruf zum Spenden, der eng mit der eigenen Marke verknüpft ist.
Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell
Die Goldeimer gGmbH sieht sich als komplett nachhaltiges Unternehmen. Malte Schremmer: «Unser Toilettenpapier ist natürlich aus Recyclingpapier. Wir wollen Kreisläufe schließen und zum Nährstoffrecycling beitragen. Nährstoffe aus Fäkalien wollen wir wieder nutzen, zum Beispiel für den Aufbau von Humus. Dafür engagieren wir uns auch politisch, Stichwort Düngemittelverordnung. Wir waren zum Beispiel beteiligt an der Entwicklung einer ab März 2020 gültigen DIN-Norm für die Verwertung von Biomasse aus Trockentoiletten.»
Mit der sozial-nachhaltigen Identität schafft und bewahrt sich Goldeimer ein Alleinstellungsmerkmal im Massenmarkt der Hersteller von Toilettenpapier. Von außen betrachtet kommt noch ein drittes Element dazu: die branchenweit einzigartige Lockerheit in der Kommunikation rund ums große Geschäft. Zum Beispiel in den Team-Porträt-Texten wie dem von Rolf Schwander: «Moin Leude, ich bin Rolf. Ich bin seit der Gründung bei Goldeimer am Start und bin der Finanzminister und Onlineshop-Manager vom schönsten Scheißverein der Welt. Wenn du mit mir chatten möchtest, bestelle jetzt bei Goldeimer und bezahle die Rechnung nicht.»
In den Social Media versucht Goldeimer jedoch, schrittweise wegzukommen vom Image der «Toilettenclowns» und zunehmend nachhaltige Insights zu verbreiten. Bis 2022 hat Goldeimer sogar vor, CO2-Negativität zu erreichen: also mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu ziehen als selbst zu emittieren. Geplant ist hierfür eine sogenannte Pyrolyse-Anlage für die Verkohlung von Biomasse.
Idee im Vordergrund
Das Goldeimer-Team sieht sich als Pionier, Anschieber und Ideengeber. Treffen mit Vertretern von Dixi fanden bereits statt. Vor Konkurrenz im großen WC-Geschäft fürchtet sich Goldeimer nicht. Malte Schremmer: «Unser Ziel ist nicht maximales Wachstum, sondern, Pionier zu bleiben. Uns ist es egal, wer damit am Ende groß wird. Hauptsache, es gibt mehr Kompostklos und geschlossene Kreisläufe.»
Es gibt ohnehin viel zu verbessern weltweit. Malte kann sich vorstellen, dass Goldeimer auch in Ländern wie Uganda und Äthiopien nachhaltige sanitäre Infrastruktur aufstellen könnte, sollten auch andere Sozialunternehmen auf dem Festival- und Klopapiermarkt in Deutschland aktiv werden.
Nachhaltigkeit messbar machen
Goldeimer zieht mehrere Messgrößen heran, um die eigenen Ökobilanz zu ermitteln. Jährlich gehen laut Auskunft von «Chief Shit Advisor» Malte Schremmer 250.000 bis 400.000 Menschen auf die Komposttoiletten von Goldeimer und kommen so auch an den Infoständen vorbei. Die derzeit 90 Goldeimer-Kompostklos ersetzen ebenso viele Chemieklos. Das spart etwa 1 Million Liter Trinkwasser. Eine Gemeinwohlökonomie-Bilanz des Sozialunternehmens ist ebenso geplant. Unter anderem, um das Team vor der zeitlichen Selbstausbeutung zu schützen, wie Malte erzählt.
Die Finanzierung von Goldeimer
Goldeimer erhielt zinslose Darlehen von erfolgreichen Unternehmern, die sich auch als Impact-Investoren engagieren. Zur eigenen ökonomischen Tragfähigkeit sagt Malte: «Die ersten Jahre waren sehr schwierig. Es gab auch mal drei Monate am Stück, in denen wir uns kein oder kaum Gehalt auszahlen konnten. Seit 2016 schreiben wir schwarze Zahlen. Bis 2021 können wir alle Darlehen zurückzahlen und sind unabhängig von Geldgebern.»
Von der GmbH zur gGmbH
Goldeimer firmierte ursprünglich als GmbH. Mit der Zeit merkte das Team, dass die profitorientierte Rechtsform nicht den eigentlichen Tätigkeitsbereiche von Goldeimer abdeckte: Zahlreiche Freiwillige halfen und helfen immer noch ehrenamtlich auf Festivals; viel Aktivität entfällt auf Bildungsarbeit. Da von vornherein keine Ausschüttungen an die Gesellschafter geplant waren und Goldeimer Ehrenamtliche beschäftigt, entschied das Team, fortan als gemeinnützige GmbH zu firmieren. Malte: «Menschen können spenden oder bei uns auf Klo gehen. Unsere Kapitalgeber wollen ihre Darlehen zurück und gut ist. Die soziale Rendite ist ihnen definitiv wichtiger.»
Goldrichtige Entscheidungen
Gefragt nach den drei wichtigsten Entscheidungen der gesamten Firmengeschichte, nennt Malte zuerst die enge Kooperation mit Viva con Agua – einer Organisation, die sich weltweit für bessere Trinkwasserversorgung einsetzt. Die Organisation brachte ein sehr gutes Netzwerk mit zu Festivals sowie zur Hamburger Budni-Drogeriekette, die von der ersten Charge Goldeimer-Klopapier gleich 100.000 Einheiten geordert hat.
Zweitens war der Fokus bei den Komposttoiletten nur auf den Festivalmarkt wichtig, auch wenn dieser nur drei Monate im Jahr dauert. Hier kann Goldeimer nach eigener Auskunft die größte Wirkung entfalten. (In den Wintermonaten ist dafür Zeit für neue Dinge, die finanziell lukrativer sind.) Und drittens der interne Fokus auf Teamentwicklung, Potenzialentfaltung, Workshops zu gewaltfreier Kommunikation. Im Team arbeiten alle «mit 150% Engagement», sagt Malte. «Wir zahlen vernünftige Gehälter, von denen man leben kann. Im Kern geht es uns um Sinnstiftung.»
Rat für nachhaltige Founder
Welchen Rat hat der Goldeimer-Gründer für alle heutigen und potenziellen Founder da draußen? «Gründet nicht um des Gründen willens, sondern wenn ihr richtig Bock auf euer Thema habt und euch das triggert.»